Gästeabend am Freitag, dem 22. Januar 2021 – „Identität und Heimat“

Identität und Heimat: Warum wir eine zeitgemäße Identifikation brauchen mit einem neuen Heimatgefühl.

Identität und Heimat sind zwei grundlegende Phänomene von besonderer Bedeutung in der
Menschheitsgeschichte bis heute. Hierin liegt zum großen Teil schon eine Antwort auf die
Frage nach dem Warum im Untertitel meines Vortrags.
Um den Wert dieses Begriffspaares zu erkennen, betrachten wir es zunächst einzeln und
abschließend im Zusammenhang als Herausforderung für unsere moderne Gesellschaft.
Kurzübersicht zum Begriff Identität
Fangen wir ganz nüchtern mit dem Sprachgebrauch an. Das lateinische idem = derselbe,
dasselbe meint die vollkommene Gleichheit oder Übereinstimmung von Dingen oder Personen
als Wesensgleichheit. Identifikation ist somit die Gleichsetzung bzw. Feststellung der
Identität.

Tiefere Einblicke gewährt uns ein Wörterbuch der Psychologie. Identität hat dort zwei
Hauptmerkmale: 1. Ein wahrgenommener Gegenstand oder Sachverhalt vielfachen Inhalts als
zeitliches Erlebnis. 2. Das wahrnehmende, handelnde, denkende Subjekt das sich selbst als
Person erlebt. Identifikation bedeutet ein Sichhineinversetzen in einen Sachverhalt oder
anderen Menschen durch Gefühlsbindung.

An dieser Stelle möchte ich mich gerne in aller Kürze der
Identitätsphilosophie zuwenden die seit mehr als 2500 Jahren mit verschiedenen Richtungen
in der Philosophiegeschichte dokumentiert ist.

In der kosmologischen Periode der vorsokratischen Philosophie treffen wir auf die Eleaten im
6.und 5.Jahrhundert vor Christus.Sie beschäftigen sich gedanklich mit dem Problem der
Einheit von Stoff und Form. Besonders bei Heraklit und Parmenides kann das wahre Wesen
der Welt nicht sinnlich erfasst, sondern nur durch das Denken begriffen werden. Wahres Sein
verharrt in ewiger Ruhe in sich selbst.

Baruch (Benedictus) de Spinoza nimmt im 17.Jahrhundert n.Chr. den Identitätsgedanken in
seinen Gottesbegriff wieder auf. Gott als persönliches Wesen besitzt Selbstbewusstsein und
Willen (= intellectus et voluntas unum et idem) Geist und Wille sind ein und dasselbe.5
Die Philosophie des deutschen Idealismus wird im 18.und 19.Jahrhundert hauptsächlich
geprägt durch die Philosophen Fichte, Schelling und Hegel. Insbesondere die
Identitätsmetaphysik des Friedrich, Wilhelm, Joseph von Schelling gewinnt große Bedeutung.
Die Unterschiede zwischen Materie und Geist, Körper und Seele, Subjekt und Objekt, Denken
und Sein entsprechen einer einzigen Wirklichkeit und sind im Grunde eine identische Einheit
allen Seins.

Im Februar 1843 erscheint in Kopenhagen Sören Kierkegaards erstes umfangreiches Werk,
das den nicht einmal 30 Jahre alten Mann später weltberühmt machen sollte und die
Philosophiegeschichte bahnbrechend beeinflusst hat. Von der Identitätsphilosophie führt der
Weg direkt zur Existenzphilosophie. Der Verfasser veröffentlicht anonym als Herausgeber
Victor Eremita dieses Werk mit dem Titel „Entweder Oder.“ Ein Lebensfragment. Teil I und II. In
Teil II beschäftigt sich Kierkegaard mit der Persönlichkeit des Menschen, der sich wagemutig
aus seiner Endlichkeit befreien soll, um die Unendlichkeit zu entdecken. Zitat: „Er entdeckt
nun, dass das Selbst, das er wählt, eine Manigfaltigkeit in sich birgt, sofern es eine Geschichte
hat, in welcher es sich zu der Identität mit sich selbst bekennt.“

Im nächsten Abschnitt benenne ich nun Merkmale einer zeitgemäßen Identität, die sich aus
individuellen und gemeinschaftsfördernden Aspekten zusammensetzt. Zwei Dinge können
gleich sein, doch nicht identisch. Diese Auffassung vertritt der am 02.Juni 2019 gestorbene
französische Philosoph Michel Serres, den man in mehreren Nachrufen als optimistischen,
unkonventionellen, universalen Querdenker würdigt. Er hat in zahlreichen Veröffentlichungen
Wissenschaftsgrenzen überschritten und mahnt die Menschen über den eigenen Tellerrand zu
schauen, um ein globales Inferno abzuwenden. Identität macht die Einzigartigkeit einer Person
aus. Kein Mensch ist mit einem anderen identisch, aber alle Menschen sind gleich vor dem
Gesetz, unabhängig von ihrer Stellung in Staat und Gesellschaft, von Familie und Geschichte,
Beruf, Religion, Aussehen und Kultur.
Aus dem Wörterbuch der Psychologie habe ich oben eine gegensätzliche Auffassung zitiert,
die die Identifikation einer Person aus der Wahrnehmung einer Innenwelt und Außenwelt
erklärt. Beide beeinflussen sich und führen zu ständig neuen, wechselnden Eindrücken und
verändern die eigene Identität.
Der Soziologe Norbert Elias weitet den Begriff Identität auf die Gesellschaft aus und stellt ihn
in den Zusammenhang mit dem Prozess der Zivilisation. Er definiert das Individuum als Ich-
Identität und unterscheidet davon eine Wir-Identität. Beide Identitäten hängen von einander
ab.

Auch die Wir-Identität unterliegt einem dauernden Lernprozess,
Im Gegensatz zu Serres hebt der Journalist Ulrich Wickert die Bedeutung einer nationalen
Identität hervor, die entwickelt werden muss aus kollektiven Merkmalen einer humanen
Gesellschaft. Er nimmt Bezug auf den Philosophen Jürgen Habermas. Auf der Basis von
ethischen Bedingungen und der Anerkennung von Werten und Tugenden entsteht sie durch
Vernunft geprägte Identität. Der einzelne Bürger übernimmt Verantwortung indem er sich
damit identifiziert und sich offen zu dieser Gesellschaft bekennt. Zeitgemäße Identifikation mit
nationaler Identität beruht auf politischen Kriterien. Ihre Ziele sind universell, Menschsein und
Menschenrechte bilden einen absoluten Wert neben der Anerkennung von Demokratie,
Republik und Volkssouveränität.

Markus Gabriel, Direktor des internationalen Zentrums für Philosophie in Bonn zählt vier
Haupttypen von Identitäten auf : Eine ontologische, metaphysische, personale und soziale.
Bisher habe ich versucht zu verdeutlichen, dass eine Aufforderung sich mit etwas zu
identifizieren hohe Anforderungen an uns stellt. Nach diesen Ausführungen dürften wir
ausreichend gewappnet sein, um jetzt den Begriff Heimat in diesem Zusammenhang näher zu
beleuchten.
Per Definition handelt es sich um eine subjektiv von einzelnen Menschen oder
kollektiv von Gruppen, Stämmen, Völkern, Nationen erlebte territoriale Einheit. Hierbei
besteht ein Gefühl besonders enger Verbundenheit. Soweit zur Definition nach Meyers
großem Taschenlexikon. Wir brauchen ein neues Heimatgefühl mit dem wir uns heute
identifizieren können. Die Suche nach Heimat hängt zusammen mit dem Wissen um eine
gemeinsame, kollektive oder nationale Identität mit vielen anderen Elementen. Auf einige
werde ich gleich noch eingehen. Territoriale Aspekte aus der geschichtlichen Vergangenheit
sollten dabei keine Rolle spielen.
Anders als Identifizierung, die man bewusst vollzieht, entsteht Heimat unbewusst im Vertrauen
auf ein Gefühl von Vernunft, Freiheit, Geborgenheit und Sicherheit. Heimat ist ein rein
deutsches Wort, das sich nicht genau übersetzen lässt15 Das sollte sich nicht nur aus einem
geographischen Verständnis ergeben, sondern einem Gefühl entsprechen hinter dem eine
Idee steht. Dazu gehören auch vertraute Gerüche, Geräusche, Plätze oder Stellen in der
Natur des eigenen Wohnortes, Erzählungen und Stimmungen oder die Entwicklung einer
Identität mit bestimmten Gruppen durch Teilnahme an deren Aktivitäten.

Wir Freimaurer wissen, dass die Identifikation mit einer Freimaurergruppe (= Loge) einem auch
das Gefühl geben kann, sich zu Hause zu fühlen. Besonders starke emotionale ‘Bindungen an
die eigene Heimat erfährt der Mensch, der seine Heimat verlassen hat oder aus ihr vertrieben
wurde. Heimat ist auch dort, wo man lesen kann, es Schulpflicht und Meinungsfreiheit gibt.
Im Bewusstsein als Bürger in einem politischen Gemeinwesen zu leben, kann auf
demokratischer Grundlage ein Gefühl erwachsen, füreinander verantwortlich zu sein.
Eines der wesentlichen Merkmale kollektiver, heimatlicher Identität ist die Sprache. Schon das
Kind erfährt in seiner Muttersprache heimische Umwelt. Sprache und Heimat werden vertraut
und vermitteln Sicherheit. Sprache und Regionalität lassen sich nicht trennen, ebenso sind
Sprache und Geschichte mit einander verbunden. Einheit besteht auch zwischen Sprache
und Denken. Wilhelm von Humboldt stellt fest, dass Geist und Sprache eines Volkes identisch
ist. Da nationale Identität und Sprache einen engen Zusammenhang bilden, müssen wir
behutsam mit unseren Worten umgehen. Aus Denken und Sprechen folgt Handeln. Um
Missverständnisse, Rassismus und Diskriminierung anderer Menschen zu vermeiden, sollte
hinter festen Begriffen ein verbindlicher Sinn stehen, denn Sprache ist lebendig und verändert
sich.
Deutsche Identität heute gebietet, die Begriffe Volk, völkisch, Volksgemeinschaft mit Bedacht
und Überlegung zu gebrauchen. Deutsch bezieht sich auf die Menschen, die Deutsch
sprechen. Das deutsche Volk umfasst alle, vorwiegend in Deutschland lebenden Menschen,
die sich als Träger staatlicher Souveränität einer rechtsstaatlichen, demokratischen Republik
verbunden fühlen. Ein wesentlicher Baustein kollektiver Identität ist ein Bewusstsein, das die
Kenntnis der Geschichte voraussetzt. Erinnerungskultur in diesem Sinne verlangt nach neuer
Gestaltung von Gedenkveranstaltungen durch Vermittlung eines kritischen, aufklärerischen
Umgangs mit der eigenen Geschichte.

Ein modernes Kulturverständnis vermeidet den Begriff Leitkultur, denn nur die gesamte
Gemeinschaft kann bestimmen was für sie als gemeinsame Kultur bedeutsam ist. Kultur
befindet sich, wie Sprache, in ständigem Wandel. In einer Demokratie sind unterschiedliche
gesellschaftliche Gruppen in kollektiver Identität daran beteiligt. Innerer Zusammenhalt in der
Gesellschaft, abgesehen von Sprache, Geschichtsbewusstsein und Kultur, findet in hohem
Maße statt durch eine Übereinstimmung ihrer Staatsbürger in moralischen Werten wie zum
Beispiel, Solidarität, Verantwortung, Gerechtigkeit, ergänzt durch Erziehung zu Höflichkeit
und Respekt.

Zeitgemäße Identifikation und ein neues Heimatgefühl müssen sich auch mit dem Problem der
Integration unterschiedlicher Gruppen in unserer Gesellschaft befassen. Selbst die
Entwicklung einer Zivilgesellschaft im vereinigten Deutschland ist noch lange nicht
abgeschlossen.26 Wickert beklagt besonders in den Reihen der Politiker eine mangelhafte
„Anerkennungskultur“ gegenüber unseren Mitbürgern, die hinzugekommen sind. Es mutet
wie Hohn an, dass in Bayern das 2018 vom Innenminister übernommene Ministerium den
Zusatz „für Heimat“ bekam. Heimat kann nur dort sein, wo man willkommen ist, nur dann
kann man sich damit identifizieren.

Identität und Heimatgefühl ermöglichen eine humane Gesellschaft. Sie ist auf die eigene
Verantwortung ihrer Mitglieder angewiesen, deren Handlung im Bewusstsein von Moral,
Menschenwürde und Solidarität erfolgt. Darin liegt unsere Zukunft. 2013 veröffentlicht eine
Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern eine Erklärung mit dem Titel: „Das Generationen –
Manifest“. Dort werden konkret Vorschläge für eine lebenswerte Zukunft gemacht. Man
fordert die Bundesregierung auf, die Generationengerechtigkeit in das Grundgesetz mit
aufzunehmen,damit zukünftige Generationen die sich daraus ergebenen Haftungsforderungen
einklagen können.

Ein 37 jähriger Philosophieprofessor, von 1793 – 1800 Freimaurerbruder in Zürich, Jena und
Berlin, verfasst im Jahre 1799 seine Schrift „Die Bestimmung des Menschen“, die 1800 und
1801 in Berlin publiziert wird. In seiner Vorrede vermerkt Johann, Gottlieb Fichte, dass seine
Darstellung nicht für Berufs-Phijlosophen gedacht sei. Sie soll vielmehr für alle Leser
verständlich sein und diese, Zitat: „… von der Sinnlichkeit zum Übersinnlichen fortreißen…“
Der Verfasser wünscht außerdem, dass der Leser eigene Arbeit und Nachdenken bei der
Lektüre vornimmt und ruft dazu auf, sich mit dieser Schrift zu identifizieren. Der Spiegel
Bestseller- Autor und Journalist Ulrich Wickert erwartet mit seiner Veröffentlichung 2019 von
uns, dass wir Identität und Heimat in Zeiten undemokratischer Entwicklungen überdenken und
uns mit den Werten identifizieren, die diese Neubewertung ausmachen. Für den Zustand
unseres Landes sind wir alle verantwortlich. Wickert stellt fest: Es ist allerhöchste Zeit, dass
sich die träge Masse unserer Gesellschaft empört und Verantwortung übernimmt.