Gästeabend am Freitag, dem 28. Mai 2021 – „Kunst kann man nicht kaufen“

Kunst kann man nicht kaufen!
Guten Abend liebe Gäste und liebe Brüder. Heute bin ich nicht nur als Bru-
der bei Euch, sondern auch in meiner Funktion als Vorsitzender von PEGA-
SUS.
PEGASUS ist ein freimaurerischer Verein, der aus Schwestern und Brüdern
Freimaurer besteht. Der Verein beschäftigt sich mit Kommunikation, mit
Kultur und vor allem mit Kunst. Dies alles tun die Mitglieder praktisch, es
gibt Ausstellungen, Lesungen, Musikaufführungen, Theater und Filmproduk-
tionen, CD-Aufnahmen und vieles mehr. Aber wir beschäftigen uns auch mit
den Theorien und Philosophien zu den drei genannten Sparten. In diesem
Zug und aus persönlichen Erfahrungen als Künstler und Kurator entstand
auch die Aussage:
Kunst kann man nicht kaufen!
Zum Thema hat PEGASUS als Jahresgabe auch ein Buch verlegt. Ich
möchte Ihnen und Euch heute die These etwas näher bringen und das „War-
um“ aus den Gesichtern löschen.
Zunächst stelle ich mal die Behauptung auf, dass Kunst zunächst ganz eng
mit der Person des Künstlers zusammenhängt.
Belegen möchte ich das anhand eines sehr medienwirksamen und langjähri-
gen Projekt eines bulgarisch französischem Künstlerehepaars aus den USA.
Ich spreche von Christo Javacheff und seiner Frau Jean-Claude. Hier zu se-
hen auf einem Foto, das ich im Juni 1995 in Berlin aufgenommen habe.
Sie waren gerade auf dem Weg zum verhüllten Reichstag, vielleicht kann
sich der eine oder andere ja noch daran erinnern. Auch dank des wunderba-
ren Sommerwetters ein absolutes Großereignis der Kunst in Deutschland.
Christo hat es selbst finanziert und es jedem kostenfrei 14 Tage lang zugäng-
lich gemacht. 23 Jahre hat er für das Projekt gekämpft und die Vision in zahl-
reichen Entwurfszeichnungen festgehalten.
Am 17. Juni 1995 war es dann soweit mit zahlreichen Helfern und ca. 30
Hochseilkletterern wurden über 100.000 m² alluminiumbschichtetes Polypro-
pylengewebe angebracht und mit ca 15.600 m Seil verschnürt.
Ich selbst war mit meiner Frau und meiner Tochter in Berlin und wohnte im
ehemaligen Grandhotel von Ostberlin. So war dann das mein erster Blick auf
das Kunstwerk. Und um den Reichstag gehend entdeckte ich immer neue
spannende Details. Es war zu spüren, das fast jeder Anwesende Inspirationen
aus dem Gesehenen und Erfahrenen zog und so entwickelten sich innerhalb
des Publikums auch spontane oder auch vorbereitete eigene kreative Momen-
te. Hier eine koreanische Trommlergruppe, der sich spontan andere tanzende
und auch feiernde Menschen anschlossen. Jeder von Ihnen hat sicher Erinne-
rungen, Gedanken und Gefühle mit auf seinen Lebensweg genommen, die er
im Fall der Erinnerung wieder abrufen kann und die ihm etwas bedeuten.
Bei mir ist es der Moment, als meine Tochter im gelben Kleid vor dem Ver-
hüllungsstoff saß und versuchte das Erlebte zu begreifen. Wenn ich daran zu-
rückdenke, ist es so, als würde ich ein mir wichtiges Musikalbum wieder hö-
ren und genau die Momente nachvollziehen, in denen es mir wichtig wurde.
Wie sieht bei Ihnen und Euch aus? Habt auch Ihr Erinnerungen an den ver-
hüllten Reichstag?
All das ist aber nur eine anekdotenhafte Beschreibung von dem, was den
Prozess Kunst ausmacht. Lasst uns mal etwas tiefer und theoretischer einstei-
gen. Dazu drängt sich natürlich das Verlangen auf, den Begriff zu deuten und
zu definieren. Also:
Was ist Kunst?
Wäre ich Picasso, würde ich jetzt sagen: „Sie erwarten von mir, dass ich Ih-
nen sage, dass ich Ihnen definiere: Was ist Kunst? Wenn ich es wüsste, würde
ich es für mich behalten.“ Aus 13 Tage im Leben von Pablo Picasso 2006
Der Blickwinkel von Picasso ist dabei sicherlich der gleiche wie meiner, wir
sind Schaffende und daher wird meine Definition auch die aus dem Blickwin-
kel der Tat sein und nicht die aus dem Wunsch etwas nachzuvollziehen, der
eher bei Kunsthistorikern stattfindet. Persönlich bin ich aber davon über-
zeugt, dass die Definition von Künstlern kommen sollte.
Ich werde in diesen Überlegungen sicher mehr von bildender Kunst ausge-
hen, denn von Musik, Literatur, Schauspiel … oder auch königlicher Kunst.
Dennoch lassen sich meine Aussagen transponieren. Den Bogen zur königli-
chen Kunst werde ich allerdings spannen, jedoch eher als Schlussfolgerung.
Zunächst aber eine kleine Geschichte und das ist auch ein wesentlicher Teil
dessen, was Kunst ist oder wie man sich Kunstgenuss landläufig vorstellt:
Ein junges Paar steht versonnen in einer Ausstellung vor einer Landschaft
mit rot gefärbter Sonne am Horizont. Da sagt er zu Ihr: „Was meinst Du ist
das ein Sonnenaufgang oder ein Sonnenuntergang?“ Worauf sie mit fester
Stimme antwortet: „Das, ist ein Sonnenuntergang!“. Er darauf: „Wie kommst
Du darauf ?“ Da antwortet Sie: „Ich kenne den Künstler, der steht nie früh
auf!“
Sie lachen, aber genau da fängt es an, interessant zu werden, es ist nicht
wirklich wichtig, ob es ein Sonnenauf- oder -untergang ist. Wichtig ist, als was
das Bild angesehen wird und was der Betrachter meint, das es sei. Außerdem
kommt es darauf an, dass es einen Konsens zwischen allen Beteiligten gibt,
dass es sich um Kunst handelt.
Das hat auch schon der Bielefelder Soziologieprofessor Niklas Luhmann er-
kannt, denn er wählte zur Erklärung seiner systemischen Soziologie im Zu-
sammenhang mit selbstreferenziellen Systemen ausgerechnet das Betriebssys-
tem Kunst aus.
Somit erklärt sich auch, warum ausgerechnet ich heute hier den Vortrag hal-
te, denn ich bin ja eines der kleinen Räder, die das System in Bewegung hal-
ten. Selbstreferenziell bedeutet, dass eine Person oder eine Gruppierung aus
der Mitte des Systems dieses gesamte System in eine andere Richtung lenken
könnte. Dies können zum einen beteiligte Gruppierungen, wie z. B. Galeris-
ten, Kuratoren, Kunstwissenschaftler, Sammler … seien, die bewusst oder un-
bewusst eine neue Ausrichtung festlegen.
In den 1960er und 1970er-Jahren haben wir allerdings ein Beispiel erlebt,
wie sich ein einzelnes Mitglied des Systems, ein Künstler, aufschwang, das Be-
triebssystem Kunst komplett neu zu definieren. Er wollte den Kunstbegriff
erweitern, da er der Auffassung war, dass die Gesellschaft in allen Bereichen
des Lebens kreative, was er gleich setzte mit künstlerischen Köpfe braucht,
um sich insgesamt weiter zu entwickeln. So definierte er: „… Jeder Mensch ist
ein Künstler! …“ — genau es war der deutsche Künstler Joseph Beuys.
Dieser Satz wurde allerdings in der Nachfolge gründlich missverstanden.
Denn er meinte nicht, dass jeder, der Töne mit einem Gerät erzeugt, Worte
aneinanderreiht oder Farbe auf Papier oder Leinwand verteilt ein Künstler
ist. Er stellt selber am 20. November 1985 in den Münchner Kammerspielen
klar: „…… Denn dies ist die große Fälschung, die immer wieder fabriziert
wird, bösartig und bewusst entstellt wiedergegeben wird, dass, wenn ich sage:
Jeder Mensch ist ein Künstler, ich sagen wolle, jeder Mensch ist ein guter Ma-
ler. Gerade das war ja nicht gemeint, sondern es war ja die Fähigkeit einer
Krankenschwester oder die Fähigkeit eines Landwirtes als gestalterische Po-
tenz und sie zu erkennen als zugehörig einer künstlerischen Aufgabenstellung.
Das war ja gemeint. …“. Genau daraus wird klar, dass er alles, was schöpfe-
risch ist, also alles das, was etwas neu definiert oder in einen neuen Zusam-
menhang setzt, auch eine künstlerische Handlung ist. Er sah Kunst also in ei-
nem wesentlich größeren Zusammenhang. Er verlangte aber auch das Kunst
der Gesellschaft dient.
Dieser Zusammenhang ist allerdings nicht so einfach zu durchschauen und
nachzuvollziehen und so kam es im Betriebssystem Kunst, speziell in der bil-
denden Kunst zu einer erneuten Umorientierung beziehungsweise zu einer
Aufsplittung, denn der Kunstmarkt ging andere Wege als die museale Kunst.
Plötzlich zählte zum einen wieder die Malerei, Bilder wurden als reiner
Schmuck verstanden. Zum anderen zog man sich auf philosophische Be-
trachtungsweisen zurück. Es ging also nicht in Richtung alles für die Gesell-
schaft, sondern man zog sich in Schmollwinkel zurück.
Ich bin der Auffassung, dass auch die Kunst ohne Erweiterung der Gesell-
schaft dient, wenn sie dies nicht tut, ist sie keine Kunst, sondern Dekoration
und damit auch ein Teil des beliebten Gesellschaftsspiel „Panem et circencis“.
Ich bezeichne so etwas gerne als Schmückerei. Also etwas, das uns in einer
seichten Art belanglos werden lässt.
Lassen Sie uns aber jetzt einen Blick auf die Entwicklung eines Menschen
hin zum Künstler werfen. Die ersten Schritte vollzieht jeder, denn in der
Kindheit fangen wir alle mit dem Versuch an, uns die Welt (die Umgebung)
zu ordnen. Wir fertigen rudimentäre Bilder an, die durchaus mit den Zeich-
nungen von Steinzeitmenschen vergleichbar sind. Nach dem Eingriff erzie-
hender Personen werden diese Bilder dann immer realitätsnaher und schil-
dern auch Erwartungen, die an uns gestellt werden. Unter Umständen neh-
men wir dann durch Unterricht oder Interesse uns nahestehender Personen
auch bereits erstellte Virtualitäten, also Bilder wahr. Dies geschieht z. B. Beim
Besuch eines Museums. Wenn man ungefähr 14 ist, kann es dann zu einer Art
Interessenexplosion kommen und man versucht sich Stile und Sichtweisen
anzueignen. Jedes erstellte Blatt, jede geschriebene Kurzgeschichte, jeder
Kompositionsversuch … werden somit zu einem Dokument der Künstlerwer-
dung eines Menschen. Hierbei durchläuft der Künstler spielerisch tätig sämtli-
che Epochen der Kunstgeschichte. Wenn dies positiv gelingt (Frage ist, ob es
wirklich positiv ist) wird er lodern wie eine Flamme für die Kunst und alles
daran setzen, diese zu seinem Lebensinhalt zu machen. Ein bisschen schwan-
ger geht nicht. Kompromisse in der Berufswahl sind faul, führen zu Frustrati-
onen und werden meist irgendwann korrigiert, zumindest aber versucht zu
korrigieren.
Nun steht aber dann die Berufswahl an und trotz aller Studiererei der ange-
hende Künstler durchläuft drei Grade der Ausbildung. Wen wundert es, er
fängt als Lehrling an und erlernt die handwerklichen Fähigkeiten etwas zu
„schöpfen“. Je nach der vorher geleisteten Grundbildung kämpft er sich,
wenn auch nicht chronologisch, durch die Kunstgeschichte. Er studiert, wenn
man es akademisch sieht, den Stil berühmter Künstler. Er lernt, seine Sinnes-
organe einzusetzen.
Wenn er dies durchlaufen hat, wird er zum Gesellen und lernt, die techni-
schen Fähigkeiten zur Dokumentation von Zusammenhängen einzusetzen.
Hierbei ist er mehr Ausführender denn Denkender, einen Zustand, den die
meisten nicht überwinden. Dieses merken sie meist nicht einmal und sie ferti-
gen dann die bereits erwähnten Dekorationen an.
Der Meister ist in der Lage, wirklich den kompletten Prozess vom Initial bis
zur Dokumentation zu durchschreiten und diese Dokumentation dann auch
noch zu codieren und so aufzuladen.
Machen wir aber eine kleine Exkursion in die Historie. Kunst war früher
nicht das, was wir heute damit bezeichnen, Kunst–artes war zweigeteilt in Ar-
tes liberales, der freien Kunst und Artes Manis oder auch Artes Mechanicae,
der handwerklichen Kunst. Diese Artes Mechanicae waren etwa im 12. Jahr-
hundert eingeführt worden, um die Wertschätzung auch für diese Berufe zu
erhöhen. Das Zeitalter des Humanismus brach an und erste bildende Künst-
ler wurden auch namentlich bekannt. Zu den Artes Mechanicae gehörten die
Baukünste in Stein, Holz und Metall, die Waffenkunst sowie Bildhauerei, Ma-
lerei und Architektur. Während zu den Artes liberales Grammatik, Rhetorik
und Dialektik, Musik, Arithmetik und Geometrie sowie Astronomie gehör-
ten. Seneca schrieb in seinem 88. Brief: „Du siehst, warum die freien Künste
so genannt werden: Weil sie eines freien Mannes würdig sind.“
Allerdings galt damals als freier Mann, wer keinem Broterwerb nachgehen
musste, um zu überleben. Dies waren also die klassischen Künste.
Mit den ersten Gedanken zu einem Zeitalter, das wir unterdessen als Aufklä-
rung bezeichneten, suchten immer mehr freie Männer Unterschlupf in Bau-
hütten, wo sie ihre Gedanken ideell mauernd frei entwickeln konnten, dabei
aber den Schutz und die Verschwiegenheit der sogenannten Logen genossen.
Damit wurden die Artes Manis auch immer mehr zu freien Künsten. Dies
wurde noch dadurch verstärkt, dass sich die bildenden Künstler immer mehr
weg von der Auftragskunst hin zu eigenverantwortlichem Handeln und Den-
ken entwickelten. Der Künstler musste die Individualität seiner Person in sei-
ner Arbeit widerspiegeln. Der gesamte Prozess hin zu der Freiheit, die dann
die Impressionisten hatten, dauerte ca. 150 Jahre. Der Impressionismus war
damit aber auch der Startschuss zur modernen Kunst. Dies prägt in Abwand-
lungen und Ismen bis heute unsere Kunstauffassung und bedingte auch ein
Umdenken bei den „Konsumenten“, die in der Kunst eher als Rezipienten
bezeichnet werden.

Damit wird aber eines klar Kunst ist nicht mehr bloße Handelsware und ich
gehe soweit zu behaupten:
Kunst
kann man
nicht kaufen!

Ich weiß, bei Ihnen leuchtet jetzt ein riesengroßes Fragezeichen. Spinnt der?
Was soll das denn, wenn ich ein Bild von Cornelius haben will, zahle ich doch
schon für ein DIN-A4-Blatt 400,00 Euro und mehr.
Stimmt, aber ich verkaufe ihnen nicht Kunst, sondern ein Dokument, seien
wir gnädig und nennen es Artefakt. Die Kunst liegt im nicht materialisierten
Bereich. Die Kunst ist zum einen der Prozess, den der Künstler durchläuft,
um ihn im Artefakt zu dokumentieren. Aber auch der Prozess, der durch das
Betrachten des Artefaktes beim Rezipienten ausgelöst wird.
Daher ist die weitverbreitete Idee, Bilder seien wie die Kinder eines Malers
vollkommen von der Hand zu weisen. Bilder, Musikstücke oder Texte sind in-
dividuelle Dokumentationen durchlaufener Prozesse oder Ideen, die dann so
„Mystifiziert“ wurden, dass sie beim Rezipienten einen eigenen Prozess in
Gang setzen.
Kunst ist der gesamte Schaffensprozess, angefangen von der Initialzündung
– der Idee über den denkenden Teil hin zur Ausführung der Dokumentation
des Prozesses. Dies gilt für alle Kunstsparten von bildender Kunst über Mu-
sik bis hin zu rein rezitierenden Künsten wie der Schauspielerei. Die so ent-
stehenden Spuren stellen hinterher das Werk in der Öffentlichkeit dar und lö-
sen neue Prozesse aus.

Lassen sie uns den gesamten Prozess einfach mal schematisch durchschreiten:
Das Artefakt als zentrales Dokument zwischen Künstler und Rezipienten
habe ich bereits erwähnt. Es ist das Bindeglied, denn meistens kennt der Rezi-
pient den Künstler nicht persönlich und umgekehrt.
Was für ein Prozess führt aber zur Entstehung des Dokumentes? Zunächst
gibt es immer ein Initial. Der Künstler sieht oder hört etwas, das bei ihm eine
Idee auslöst. Er fängt an zu denken und analysiert die Idee, er recherchiert
über das Thema und bewertet seine Analyse und die Recherchen. Dann kann
es sein, dass er neue Ideen hat und diese erneut in den Denkprozess einflie-
ßen lässt.

Irgendwann entwickelt sich aus diesen Gedanken ein Motiv und auch ganz
persönliche Symbolik. In seinem Kopf findet eine Geschichte statt. Das Mo-
tiv mit der Symbolik bringt er dann in das Artefakt ein. Es fließen aber auch
das Denken, die Idee und das Initial in das Dokument dieses Prozesses mit
ein.
Das Dokument gestaltet er auf seine ihm eigene Art und Weise, die es un-
verwechselbar ihm zuordnet. Ich habe das ganze Mal wie folgt umschrieben:
„Kunst sind die Geschichten, die ein Mensch in einer selbsterfundenen Spra-
che erzählt.“ Damit werden die Paradigmen des künstlerischen Handelns fest-
gelegt, neben den bereits erwähnten kommt noch ein Code beim Erstellen
des Dokumentes hinzu. Dieser Code überzieht das Dokument mit einer Art
Mystifizierung, und es ist dann unverwechselbar dem Künstler zuzuordnen-
der er sucht somit nach einer eigenen Ausdrucksweise, die nur für ihn typisch
ist. Dies aber darf nicht verkrampft geschehen, sondern ist Teil der Entwick-
lungsgeschichte eines Künstlers.
Wichtig ist aber vor allem, dem Prozess des Schaffenden muss immer die
Suche nach Neuem innewohnen. Dies kann sich sowohl formal wie auch in-
haltlich darstellen. Der Schaffende muss eine neue Erfahrung sammeln und
diese im Werk manifestieren.
Kunst verlangt somit vom Schaffenden auch Mut, da er seine Gedanken-
welt, seine Gefühlswelt und seine Vorprägung in einen Prozess der Suche
nach Neuem ehrlich einbringen muss und diese öffentlich zur Diskussion
stellt.

Wichtig ist aber dann auch, was in der „Anwendung“ mit dem Dokument
geschieht. Durch die Codierung wird es im Allgemeinen so aufgeladen, dass
beim Rezipienten auch ein Initial ausgelöst wird, sofern er auch die Offenheit
und Bereitschaft hat, dieses zuzulassen. Wenn er sich mit einem Kunstwerk
beschäftigen will, muss er sich in der Auseinandersetzung mit dem Werk die
“Sprache” des Künstlers erst erarbeiten, um sie dann auf sich wirken zu las-
sen. Zugegeben, ein schwieriges Unterfangen in einer immer schnelllebigeren

Zeit. Dann passiert aber im Allgemeinen etwas Wunderbares er beginnt Din-
ge zu fühlen, nicht immer Positives, durchaus auch Aufwühlendes, Abstoßen-
des, Unbehagliches. Er fängt an zu denken und entwickelt eigene Ideen. All
dies kann ihn dann auf sich selber zurückwerfen und er entwickelt sich und
seine Persönlichkeit. Was er somit in jedem Fall aus dem gesamten in ihm
ausgelösten Prozess mitnehmen kann, ist eine neue Sichtweise und vor allem
ein Stück Weisheit.

Diesen Prozess zuzulassen bedarf aber des Trainings und es sollte eigentlich
ein sehr wichtiger Aspekt im Kunstunterricht seien. Leider wird dieser Aspekt
aber mehr und mehr in unserer Gesellschaft vernachlässigt. Immer weniger
Menschen sind bereit, sich auf sich selber einzulassen, sie flüchten in Unter-
haltung und Ablenkung und verdrängen alles, was sie belasten könnte. Den-
ken überlässt man gern anderen, man kann ja dann nachdenkend die Argu-
mente anderer weiterverbreiten.
Kunst ist die geistige Nahrung, die uns denkend verdauend mit Wissen
nährt.

Anhand dieses Schaubildes wird vielleicht deutlich, das Kunst Prozess ist.
Der erste Prozess findet statt während der Dokumentationsphase. Der zweite
Prozess wirkt durch das vom Dokument ausgelöste Initial, denn in diesem
zweiten Prozess wird der Mensch auf sich selber zurückgeworfen oder mit
Picasso gesagt, „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“
Verrückt an der Sache ist, darüber habe ich mich auch mit zahlreichen Kol-
legen ausgetauscht, dass der Künstler nach Abschluss des Dokumentes auch
zum Rezipienten wird. Das ist sicher auch der Grund, warum Künstler un-
gern etwas über die Inhaltlichkeit ihrer Werke sagen, denn sie befinden sich
dann in keiner anderen Position als jeder andere Mensch.
Übrigens fühle ich mich noch in einem anderen Zitat von Picasso bestätigt.
Er sagte: „Ein Maler ist ein Mann, der malt, was er verkauft. Ein Künstler ist
dagegen ein Mann, der das verkauft, was er malt.“ Dadurch wird klar, dass er
auch den Unterschied zwischen der Dokumentation eines Prozesses und dem
inhaltlosen Verteilen von Farbe sah. Ich kann das zwar nicht erklären, aber
wenn sie sich als Rezipient wirklich auf die von mir beschriebene Weise dem
Artefakt annähern, werden sie sehr schnell in der Lage sein, auch den inhaltli-
chen Wert zu erkennen.

Sie sind also hiermit freundlich aufgefordert, möglichst viele Dokumente
bezahlend an sich zu bringen! 😉
Was hat das jetzt alles mit der sogenannten königlichen Kunst der Freimau-
rerei zu tun? Nun, derjenige der Zugang zur Freimaurerei findet, also Bruder
wird, soll vom Beginn seiner Mitgliedschaft an die sogenannte Arbeit am rau-
hen Stein aufnehmen. Er soll seine eigenen Ecken und kannten erkennen und
diese abschlagen. Er geht also in einen Prozess und das Dokument, das er er-
stellt, ist er selbst. Ein sicherlich königliches Dokument.
Was aber ist mit dem Initial, dass er als Dokument auslösen soll? Nun, er
wird immer wieder aufgefordert werden: „Gehe hinaus in die Welt und be-
währe Dich …“ Er wird somit immer wieder direkt daran erinnert, was seine
Aufgabe als Dokument Mensch ist. Wenn Sie sich das Schaubild noch einmal
vor Augen führen und das Dokument durch den Begriff Mensch ersetzen,
wird vielleicht deutlich, wie sehr sich Kunst und königliche Kunst gleichen.
Dies war ein kleiner Überblick über die Grundlagen meiner Theorie und
Definition. Mehr mit Anekdoten und Begebenheiten belegt, können Sie in
dem Buch „Kunst kann man nicht kaufen!“ erfahren.

Ich bedanke mich und würde das Thema nun gern mit Ihnen und Euch dis-
kutieren.