Gästeabend am Freitag, dem 28. Juni 2024 – „Alle Menschen werden Brüder?“

Liebe Gäste, liebe Brüder!

„Alle Menschen werden Brüder“ ist das Thema auf dem heutigen Gästeabend.

Als Anregung lag mir ein Vortrag des Bruders Wolf-Dietrich Tuchel aus der Loge Einigkeit i.Or. Frankfurt vor.
Ich übernahm den Titel von ihm und fügte ebenfalls ein Fragezeichen hinter die Aussage.
Jetzt möchte ich Sie, jetzt möchte ich Euch auf diese kleine Gedankenreise mitnehmen.

Alle Menschen werden Brüder?
Das ist es was uns in der ersten Strophe der Ode an die Freude versprochen wird. Erinnern wir uns:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

So schrieb es Schiller in seiner später von Beethoven im vierten Satz seiner neunten Symphonie vertonten Version.
Zunächst war er aber auf einer anderen Spur, denn die Zeilen lauteten in der ersten Version:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elisium,
Wir betreten feuertrunken
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
was der Mode Schwerd getheilt;
Bettler werden Fürstenbrüder,
wo dein sanfter Flügel weilt.

Zum einen nimmt er somit in der letzten Version die kriegerische Härte aus der Teilung der Stände heraus,
die durch die Uniformierung der Schichten gegeben war,
zum anderen erkennt er die Mode selbst als trennende Waffe.
Ja er sieht auch von der revolutionären Erhebung von der Unterschicht in den Adel ab und
gleicht in der Endversion die gesellschaftlichen Schichten lieber
durch Gleichstellung auf der Winkelwaage, also auf einer Ebene an.

Altersmilde? Erkenntnis? Diplomatie?
In jedem Fall eine Auslegung die der Freimaurerei (in Deutschland) eher entsprach und entspricht.
Aber beinhaltet das nicht auch eine Gefahr für die Freimaurerei?

Alle Menschen werden Brüder.

Bedeutete das, die eine Hälfte der Menschen werden Brüder und treten in eine Loge ein? Die andere Hälfte wird dann natürlich Schwester und tritt in eine andere Loge ein.
— Trennung —
Das kann nicht der Sinn sein und die Gefahr kann uns als Freimaurern auch nicht drohen.
Was also dann?
Schiller schrieb das Gedicht nicht für eine Loge in Dresden sondern für seinen Freund und Förderer Christian Gottfried Körner. Dieser war Freimaurer in der Dresdner Loge „Asträa zu den drei Schwertern“.
In brüderlicher Freundschaft stellte Körner Schiller ein Häuschen in einem seiner Weinberge zur Verfügung.
Man war ja seelenverwandt. Ein Zustand den viel später Karl May mit seinen Blutsbrüdern auf ein besonderes Podest hebt und versucht tatsächliche Blutsverwandtschaft zu suggerieren. Auch Goethe denkt über Wahlverwandtschaften nach. Es geht somit darum eine enge Bindung zwischen Menschen zu finden und diese zu bezeichnen.

In den Klöstern lebende Mönche bezeichnen sich auch als Brüder. Sie leben auch in einer räumlichen Nähe und organisieren ihren Alltag gemeinsam, ähnlich dem Zusammenleben in einer Familie.
Es geht aber nicht nur um die erwünschte familiäre Bindung, sondern um die gleiche Stellung.
Ein Bruder befindet sich auf der selben Ebene wie die Brüder neben ihm. Er ist in diesem Kreis weder Vater oder Großvater, noch Mutter oder Großmutter.
Er ist Gleicher unter Gleichen und soll sich auch so sehen.
Ein Bruder ist eine mir besonders eng verbundene Persönlichkeit die mir nicht zwingend blutsmäßig verwandt sein muss, mit der ich aber Ideen, Gefühle oder Ansichten teile die mir besonders wichtig sind, wodurch wir uns auf gleicher Ebene befinden.

Der Bruder Wolf-Dietrich Tuchel überlegt dazu Folgendes:
So folgt dem ausgesprochenen Wort “Bruder” ein erhabenes Gefühl,
eine Verherrlichung auf dem Wege zur Vervollkommnung des Menschen, ein Meilenstein im Leben.
Seid also nett zueinander und Ihr lebt in Frieden, Freuden, in brüderlicher Eintracht.
Ist das aber so im Leben Wirklichkeit? Oder liegt es nur an uns, so ein Leben morgen zu verwirklichen?
Die Chronik des Menschengeschlechtes beginnt mit einem Brudermord!
Es erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.

Die klassische Weltgeschichte fängt ähnlich an:
Romulus erschlug seinen Zwillingsbruder Remus, weil er ihn wegen der Höhe der Stadtmauer verspottete.
Das war am Tage der Gründung Roms, dem Beginn unserer historischen Zeitrechnung.

Die Griechen wollen wir auch nicht vergessen:
Eteokles und Polyneikes, beide Söhne des Ödipus, schlugen sich so hart und
brachten sich gegenseitig um. So etwas kann man Perfektion nennen.
Auch die deutschen Märchen schildern uns geschwisterliche Schand- und Bluttaten.
Wir Erwachsenen lesen unseren kleinen Kindern zum sanften Einschlafen Solches auch noch vor.

Nun stehe einer auf und sage, das war früher, heute sind die Menschen zivilisiert. Heute wissen die Menschen, was sie tun, denn sie sind gebildet. Man denke nur an die Worte von Goethe: Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Goethe sagt hier “sei”. Ich lege das als Wunsch aus. Oder hat dieser große Geist schon damals gewusst, dass wir uns auf diesem Planeten noch immer bekriegen, Not und Elend verbreiten, Kindern das Hassen lernen, aus lauter Neid und Habgier vor Mord nicht zurückschrecken. Selbst der Glaube an einen Gott gebiert Schreckliches. Auch wir sogenannten kultivierten Europäer können uns keinen Pfennig auf die Haben-Seite schreiben.

Soweit Bruder Wolf-Dietrich Tuchel.

Mit anderen Worten, wir kommen mit dem Gleichheitsprinzip, auch wenn es namentlich postuliert wird, innerhalb der Gesellschaft nicht wirklich zurecht. Dennoch benennen die Freimaurer sich als Brüder und sehen in dieser Bezeichnung auch einen Auftrag. Der französische Autor, Flieger und Freimaurer Antoine de Saint-Exupery sagt in seinem Buch „Worte wie Sterne“ Folgendes dazu:
Ich verstehe den Ursprung der Brüderlichkeit der Menschen. Die Menschen waren Brüder in Gott. Man kann nur innerhalb einer Einheit Bruder sein. Wenn es kein einendes Band für sie gibt, sind die Menschen nebeneinandergestellt und nicht miteinander verbunden. Meine Kultur, ein Erbe Gottes, hat die Menschen zu Brüdern im Menschen gemacht.

Ist dies wirklich Stand der Dinge innerhalb unserer Gesellschaft? Wir als Brr.·. Freimaurer bemühen uns darum und getreu der an uns gestellten Aufforderung: „Gehe nun hinaus in die Welt und bewähr Dich als Freimaurer!“ versuchen wir diesen Gedanken immer wieder neu in die Gemeinschaft und unsere Umgebung zu tragen und den Traum, dass alle Menschen Brüder*innen werden nicht aufzugeben. Denn bedenken wir, jeder dem wir begegnen, besteht zunächst aus 90% Wasser und jegliche Auszeichnung, jegliches Gut und jegliches, erworbenes Wissen bleibt maximal hier auf Erden und lässt sich nicht in das Jenseits transferieren.

Treffen wir also jeden Menschen mit dem Bewusstsein, das uns Salierie im Text der Zauberflöte mitteilt:
„Mehr noch er ist ein Mensch!“
Meine Frage an die Gäste ist es nun, ob sie dieses uns so wichtige Gleichheitsprinzip und
die von uns beschworene Brüderlichkeit ein wenig spüren können?